Serie „Fehntjer Geschichte(n)“ Über diesen Teemischer berichtete die „New York Times“
Schon als Jugendlicher brachte Wilhelm Hedemann den Fehntjern Tee ins Haus. Später bewies er als Teemischer Gespür für guten Geschmack. Doch der hat sich verändert.
Ostgroßefehn - „Früher wurde die Teekanne ja nicht kalt“, erinnert sich Wilhelm Hedemann. Während des Gesprächs sitzt er vor einer guten Tasse Tee und besagter Teekanne. Zweimal täglich, vormittags und nachmittags, genießt er seinen Schwarztee auch heute noch. Traditionsbewusst und genießerisch bringt er in seiner Tasse Kandis, Tee und Sahne zusammen. Wie gemalt ziert sein Wulkje die Tasse. „Früher haben die anders Tee getrunken“, sinniert er. In den 60er Jahren noch, berichtet er, gab es in vielen Haushalten auf dem Fehn mehrmals täglich Tee. Mittlerweile ist das längst nicht mehr so: „Heutzutage wird fast mehr Kaffee getrunken als Tee.“ Auch der Geschmack der Menschen in Bezug auf den Tee habe sich verändert: „Der ist nicht mehr so stark wie früher.“
Kaum ein anderer kennt sich so gut mit dem Kulturgut Tee aus wie dieser Ostfriese. Schon als Jugendlicher vertrieb der heute 83 Jahre alte Wilhelm Hedemann das ostfriesische Nationalgetränk. Er unterstützte seinen Vater Anton Hedemann, der nach einem Unfall aus wirtschaftlicher Not heraus den Haus-zu-Haus-Verkauf von zunächst bereits fertig gemischtem Tee begonnen hatte. 150 Kunden in Großefehn wurden seinerzeit mit dem Rad und zu Fuß abgeklappert. Damals in der Nachkriegszeit sei – anders als heute – vieles an der Haustür verkauft worden. Neben Schwarztees hatten Hedemanns, zeitweise sprang auch noch der Bruder ein, zunächst beispielsweise auch Putzmittel im Gepäck. „Anton Hedemann, den kannte man“, sagt dessen Sohn über seinen Vater. Heute sei das Vertriebsmodell weitgehend undenkbar: „Das würde nicht mehr funktionieren an der Tür. Die Zeit war anders.“
Als Tee noch Mangelware war
Schnell stand für Wilhelm Hedemann offenbar fest, dass er die Geschäfte seines Vaters übernehmen und ausbauen wollte. „Da bin ich so reingeschlittert – und habe auch nichts anderes mehr gelernt.“ Der Spross wollte größere Mengen Tee kaufen und vertreiben. „Mit 18 Jahren habe ich selbst angefangen, Tee zu mischen.“ Offenbar hatte er ein glückliches Händchen und vor allem den richtigen Riecher für das kostbare Gut aus Übersee: „Wir kriegten Zehn-Kilo-Tüten. Die wurden dann durchgemischt.“ Und das wurde dann unterteilt und abgepackt in kleine Portionen. „Viertelpfünder“, erinnert sich Christel Hedemann. Päckchen zu je 125 Gramm. „Tee war damals Mangelware.“ Jahrelang war der 1983 verstorbene Anton Hedemann noch fürs Abpacken der losen Ware verantwortlich.
Wilhelm Hedemann zog los. Es galt zunächst, die Kundschaft für sich zu gewinnen: „Ich bin von Haus zu Haus. Ein Jahr, dann stand die Tour.“ Neun Jahre habe er das zunächst alles mit dem Fahrrad gemacht. Die ersten Jahre waren wirtschaftlich schwierig. Doch die Mischungen kamen an: „Der Tee war gut.“ Das sprach sich rum. Hedemann baute verschiedene Verkaufsrouten auf: Neben Großefehn steuerte er beispielsweise Moorlage, Wiesmoor und die Gemeinde Friedeburg an. „Wenn du kiloweise Tee kaufst, musst du ja viel verkaufen“, stellt er salopp fest. Alle 14 Tage fuhr er immer die gleiche Strecke: Dabei kam er stets zur gleichen Zeit bei seinen Kunden an, zuverlässig und stets mit köstlichem Teenachschub im Gepäck. Bis 1974 baute er seinen Vertrieb aus: „Da hatte ich dann 600 Kunden.“ Fünf Tonnen Tee pro Jahr brachte er in seinen besten Zeiten in die Haushalte der Region.
Im Hause Hedemann gab es ein Teezimmer
Im Jahr 1981 eröffneten Hedemanns ein Teegeschäft im Einkaufszentrum von Ostgroßefehn. Neben Hedemanns eigenen Tees wurden in dem kleinen Ladenlokal unter anderem Porzellan und Geschenkartikel verkauft. Christel Hedemann kümmerte sich gemeinsam mit Angestellten um den Laden, während ihr Mann in halb Ostfriesland von Tür zu Tür ging. „Ich war unterwegs mit Tee“, fasst er lapidar zusammen. 40 Kunden am Tag sei sein übliches Pensum gewesen. „Ich konnte mich auf meine Teekunden verlassen.“ Im Gegenzug aber war es wichtig, dass die sich auch auf ihren Lieferanten verlassen konnten. Darüber hinaus hatte das Paar drei Kinder, die teilweise im Laden aufwuchsen, und eine kleine Landwirtschaft. Langeweile kam da nicht auf.
Seinen Tee mischte Wilhelm Hedemann allerdings weiter im Haus der Familie. „Ich hatte extra ein Teezimmer.“ Mit Holzboden und Schornstein. Perfekte Voraussetzungen für seinen Rohstoff. „Ein besseres Lager gab es nicht.“ Denn Hedemann kaufte einmal im Jahr große Mengen ein – die dann das gesamte Jahr über auskömmlich sein mussten. Die Kunst beim Teemischen ist die: Obwohl aus sieben oder acht verschiedenen losen Tees zusammengesetzt, muss das Produkt immer gleich gut schmecken. „Du kannst ja nicht beigehen und ständig die Mischung ändern.“ Hedemann bekam dafür immer Proben der Exporteure, die jene wiederum direkt von den Teeplantagen erhalten hatten. „Der beste Tee kam im Juni, Juli“, erinnert er sich. Im September wurden die georderten Mengen mit Schiffen über Hamburg oder Bremen geliefert. Säcke- und kistenweise kam der Tee dann nach Großefehn.
Mit Tee in die „New York Times“
Tee ist ein natürlicher Rohstoff: Keine Ernte schmeckt genau so wie die des Vorjahres. Darum variiert die Zusammensetzung von Tee immer – denn der Geschmack soll sich ja nicht verändern. Im Laufe der Jahre wurde Hedemann zu einem echten Kenner auf seinem Fachgebiet. „Wenn die Proben kamen, war ich neugierig: Wie gut ist der Tee?“, habe er wissen wollen. Den Anfang machte „der Geschmack auf der Zunge“ – er habe ihn lose und trocken probiert. „Dann musst du den Tee machen.“ Neben dem Geschmack ist auch etwas anderes wichtig: „Wie verhält er sich mit Milch?“ Die Intensität, das Volumen, all das sei entscheidend. Woher er sein Näschen für das Heißgetränk hat, kann er selbst nicht genau sagen: „Tee gehörte einfach immer zu meinem Leben; hat mich immer interessiert.“
Sein Tee schmeckte – darauf ist der 83-Jährige noch heute stolz. So mancher Tee-Enthusiast trauert Wilhelm Hedemanns Tee wohl noch heute nach. Vor einem Jahr habe mal wieder jemand gefragt, ob es Hedemanns Tee noch zu kaufen gebe, berichtet der Fehntjer. Doch 2012 gaben Christel und Wilhelm Hedemann ihr Geschäft auf. Das Mischen hatte der Chef eigentlich schon 2008 an den Nagel hängen wollen. Dann hatte er es sich aber noch einmal anders überlegt: „Ich hab auf einen Schlag 40 Zentner Tee gekauft.“ Als Hedemanns ihr Geschäft aufgaben, war Schluss. Langjährige Kunden hätten sich noch einmal mit großen Mengen eingedeckt, erinnert sich der Fehntjer lachend. Hedemanns Kunden lebten längst nicht mehr nur in Ostfriesland – auch aus Hamburg oder Berlin beispielsweise gab es Rückmeldungen von Anhängern seiner Mischkunst.
Und so wurde schließlich ein Journalist auf Hedemann aufmerksam, der für die „New York Times“ tätig war. Ian Johnson thematisierte im Februar 2013 die ostfriesische Vorliebe für Tee auf einer ganzen Zeitungsseite für den amerikanischen Leser. Er empfahl neben einen Besuch im Teemuseum Norden und im Café Rodenbäck in Neuharlingersiel auch den in Hedemanns Haus – und schildert sein Zusammentreffen mit Wilhelm Hedemann bei Tee und Kuchen in dessen Garten.