Ausgebeutete Leiharbeiter IG Metall agierte undercover bei VW in Emden
Um von einem Kölner Unternehmer ausgebeutete Arbeitnehmer in vernünftige Verträge zu bekommen, mussten Emder Gewerkschafter unter dem Radar arbeiten. Wir haben mit der IG Metall darüber gesprochen.
Emden/Köln - Rund 20 ehemalige Emder Mitarbeiter eines ausbeuterischen Kölner Personalverleihers sind inzwischen bei der VW-Tochter Autovision untergekommen oder sind kurz vor der Einstellung. Einen großen Anteil daran, dass die überwiegend polnischen Arbeitnehmer nach ausbleibenden Lohnzahlungen, schlimmen Unterkünften und fehlenden Papieren einen Job haben, hat die Emder IG Metall. Sie hat in Zusammenarbeit mit dem Projekt „Faire Mobilität“ des Deutschen Gewerkschaftsbunds vermittelt, verhandelt – und undercover gearbeitet. „Das war auch für uns gefährlich“, sagt der Emder IG-Metall Gewerkschaftssekretär Henrik Köller.
In der „Fairen Mobilität“ geht es darum, ausländischen Arbeitnehmern – vor allem aus Osteuropa – dabei zu helfen, ihre Rechte durchzusetzen. Dafür gibt es beispielsweise gewerkschaftliche Ansprechpartner, Dolmetscher und Menschen in den Industriehallen. Nötig sei das etwa deshalb, weil Arbeitgeber wie der Kölner Jonas P. (Name geändert) eine unglaubliche Macht auf ihre Leute haben: „Er stellt die Wohnung, er stellt den Job – und die Menschen sprechen oft kein Deutsch“, sagt Köller. Das seien drei gewichtige Stellschrauben, mit denen er die Arbeitnehmer unter seiner Kontrolle halten könne.
„Nicht leicht, an die Menschen heranzukommen“
Franka Helmerichs ist Geschäftsführerin der IG Metall in Emden. Sie sagt: „Es war nicht leicht, an die Menschen heranzukommen, darum hat es eine Weile gedauert.“ Wer mit der Gewerkschaft, mit Journalisten oder staatlichen Stellen spreche, bekomme ganz schnell Probleme, sagt sie. „Da ist man ganz schnell weg.“ Köller sagt, dass man sich mit P.s Beschäftigen nur an Plätzen getroffen habe, die nicht mit der IG Metall hätten in Verbindung gebracht werden können. Habe man sie in einer Halle getroffen, hätten die Beschäftigen so getan, als kenne man sich nicht. Nur unter dem Radar habe man mit den Betroffenen reden können.
Helmerichs sieht darin ein grundsätzliches Problem: „Die schlechte Behandlung von Leiharbeitskräften gibt es ja nicht nur in dem jetzt öffentlich gewordenen Fall.“ Das Machtgefälle zwischen einem ausländischen Mitarbeiter und einem Leiharbeitgeber sei in vielen Fällen vorhanden. Köller sagt, dass es beispielsweise in Sachen Unterkunft besser sei, wenn Arbeitnehmer ihre eigenen Wohnungen hätten – und dafür etwa ein Zuschuss gezahlt werde, anstatt als Arbeitgeber Wohnungen anzumieten. Bei der Autovision sei das nun so: Die Polen bekämen eine Pauschale, um sich selbst etwas suchen zu können.
„Dem Billigsten wird der rote Teppich ausgerollt“
Helmerichs fordert regelmäßige, intensive und flächendeckende Kontrollen des Staates. „Unsere Gesetzgebung reicht dafür einfach nicht aus“, sagt sie. Zumal auch die Unternehmen, bei denen Leiharbeiter eingesetzt werden, besser hinschauen müssten. „Da geht es nur darum, welche Kosten entstehen“, sagt Helmerichs. „Dem Billigsten wird der rote Teppich ausgerollt“, erklärt Köller. Dabei habe es in Deutschland mal Gesetze gegeben, die diese Art von Arbeitgeberverhalten unattraktiv gemacht hätten – und zu diesem Punkt müsse man schnell wieder zurückkehren.
Die Volkswagen Group Services GmbH (VWGS), die Dirks-Group und die EVAG – alle P.s Geschäftspartner in Emden – hatten mitgeteilt, sich rasch nach Bekanntwerden der Mängel von P. getrennt zu haben. „In der Branche wird sich oft weggeduckt“, findet Helmerichs. Auch nach einer Vertragsauflösung müsse Verantwortung für die Menschen übernommen werden. Die VWGS habe das vorbildlich gemacht, indem sie geholfen habe, Arbeitnehmer in die Autovision zu vermitteln.
Inwieweit ermittelt die Justiz?
Stichwort Kontrollen: Für die Genehmigung der Leiharbeit durch P.s Firmen ist die Bundesagentur für Arbeit in Düsseldorf zuständig. Die hatte uns zuletzt mitgeteilt, dass eines der Unternehmen bis Juli vergangenen Jahres Arbeitnehmer habe verleihen dürfen, ein zweites noch bis Anfang Februar dieses Jahres. Doch auch Ende des Monats war die zweite Firma noch im öffentlich einsehbaren Leiharbeitsregister vorhanden – „ein technischer Fehler“, wie eine Sprecherin mitteilte. Als der behoben war, tauchte aber die erste Firma, die schon seit Mitte 2022 nicht mehr verleihen darf, wieder auf. Die Sprecherin dankte für den Hinweis – und nun ist auch die Firma entfernt.
Unklar ist weiterhin auch, inwieweit die Justiz gegen P. und seine Kollegen ermittelt. Die Staatsanwaltschaften Düsseldorf und Aurich teilen auf Nachfrage mit, dass es dort keine Ermittlungen in dem Fall gebe. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Köln schreibt unter anderem Folgendes: „Im Übrigen würde eine Auskunft der Staatsanwaltschaft – die Existenz eines entsprechenden Verfahrens vorausgesetzt – erheblich in Persönlichkeitsrechte Beteiligter eingreifen, weswegen ich an einer Auskunftserteilung gehindert bin.“ Unseren Quellen zufolge gibt es mindestens ein Verfahren, unklar ist nur, um was genau es geht.
Die nächste Firma ist schon gegründet
P.s Umfeld ist weiterhin sehr rührig: Nachdem er die Geschäftsführung für seine Kern-Unternehmensgruppe an einen Freund abgegeben hat, taucht nun eine neue Person auf. Die Lebensgefährtin eines seiner engsten Vertrauten hat eine GmbH gegründet – wie es der Zufall will, in der Arbeitnehmerüberlassung. Eine eigene Webseite mit Stellenangeboten gibt es auch schon. Allerdings wird im Impressum der falsche Firmenname genannt, und die angegebene Umsatzsteuer-ID ist ebenfalls nicht richtig – ebenso wie die Registernummer aus dem Handelsregister.
Seinen Spendenaufruf für Opfer des Erdbebens in Syrien und die Türkei hat P. von Instagram wieder entfernt. Unsere Fragen danach, wo das Geld gelandet ist und welche Sicherheit es gibt, dass es tatsächlich gespendet wird, hatte niemand beantwortet. P. hatte angekündigt, selbst in die Türkei zu reisen. Ob er Deutschland tatsächlich verlassen hat, wissen wir nicht. Auch eine Frage in diese Richtung hatten weder P. noch der neue Geschäftsführer oder dessen Assistentin beantworten wollen.
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