Recherche über VW-Dienstleister Leiharbeiter-Ausbeuter sammelt im Internet Spenden
Vergangene Woche haben wir die Ausbeutung Emder Leiharbeiter öffentlich gemacht. Deren Ex-Boss wirbt um Geld für Erdbebenopfer – doch unsere Fragen beantworten will er nicht.
Emden/Köln - Ein Kölner Unternehmer, wir nennen ihn mit geändertem Namen Jonas P., hat in Emden polnische Leiharbeiter ausgebeutet, sie nicht regelmäßig bezahlt und in schäbigen Wohnungen hausen lassen. Mit teuren Autos und gutem Auftreten hat er unseren Recherchen zufolge VW-Tochterunternehmen und für den Konzern tätige Firmen hinters Licht geführt. Und für sein Unternehmen wirbt er fleißig weiter um Mitarbeiter. „Wir stellen jeden ein, auch ohne Abschluss“, lockt P.s Firmengruppe auf Instagram. Verdienen könne man so viel, wie man wolle – und Porsche, Ferrari und Lamborghini zu fahren sei auch gar kein Problem. P. will bei Instagram aber auch Geld sammeln, seinen Aussagen zufolge für Erdbebenopfer in der Türkei und in Syrien.
In einem Video stellt er sich vor zwei Wochen als Firmeninhaber vor, dem die „Situation sehr nahe“ gehe. 50 Mitarbeiter hätten sich „Gott sei Dank freiwillig dazu entschieden“, ins Krisengebiet zu reisen – und auch er selbst wolle hinfliegen, um vor Ort zu helfen. Geld und Sachspenden würden dankend angenommen. Helme, Decken und andere Güter könnten an der Firmenadresse abgegeben werden, Geld werde über ein auf dem Instagram-Profil verlinktes „Spendenkonto“ entgegengenommen. Klickt man darauf, wird man zum Zahlungsdienstleister PayPal weitergeleitet. Gezahlt werden kann direkt per PayPal oder per Kredit- oder Debitkarte – beziehungsweise konnte, denn der Link ist inzwischen von Instagram verschwunden. Das Video existiert aber weiterhin.
Wo landen die Spenden am Ende?
Wir haben P.s Unternehmen am Montag unsere Fragen an vier E-Mail-Adressen geschickt – mit der Bitte um eine Antwort bis Dienstagnachmittag. Eine Rückmeldung haben wir bis zum späten Mittwochnachmittag nicht bekommen. Wir wollten zum Beispiel wissen, wie viel Geld bereits eingenommen wurde und ob es auf einem Firmen- oder Privatkonto liegt. An welche Organisation soll das Geld weitergeleitet werden? Wie können Spender sicher sein, dass ihr Geld tatsächlich im Krisengebiet ankommt? Auf unsere erste Anfrage vor einiger Zeit hatte eine P.-Mitarbeiterin geschrieben, dass man sich zu „Unternehmensinterna“ nicht äußern werde. Offenbar sind auch Informationen, die jede seriöse Organisation zur Verfügung stellt, aus P.s Sicht „intern“.
Dass sich P. in seinem Video als „Inhaber“ und nicht als „Geschäftsführer“ bezeichnet, ist folgerichtig, denn: Anfang Februar hat er die Geschäfte an einen Freund weitergereicht. Unseren Informanten zufolge hatte dieser Mann mindestens intern mutmaßlich gefälschte Arztdokumente über Leiharbeiter herumgeschickt. Ob diese nach außen gelangt sind, ist bisher unklar. Klar ist, dass dieser neue Geschäftsführer sich offenbar erst ordentlich einarbeiten muss: Mit seinem privaten Nutzerkonto auf der Online-Plattform Ebay-Kleinanzeigen suchte er jüngst jemanden, der sich mit einem Buchhaltungsprogramm auskennt und ihn bei der Erstellung von betriebswirtschaftlichen Auswertungen (BWA) unterstützt. Lohn für die Hilfe: „fix 500 Euro“.
AOK bringt Insolvenzverfahren auf den Weg
Wir wollten wissen, ob der Geschäftsführer als Privatmann Hilfe sucht oder das im Auftrag seines Unternehmens tut. Ist die Zahlung von „500 Euro fix“ als Betriebsausgabe zu betrachten? Und: Sofern das entsprechende Know-how bisher im Unternehmen nicht vorhanden war: Wie wurden die BWA bisher erstellt? Eine Antwort gab es auch dazu nicht. Bezüglich unserer Fragen zu den mutmaßlich gefälschten Vorsorgeberichten der Arbeitnehmer hatte die Unternehmensgruppe uns bei der ersten Anfrage auch nicht geantwortet. Stattdessen hatte uns die P.-Mitarbeiterin „rein vorsorglich“ mit rechtlichen Schritten gedroht – „insbesondere im Hinblick auf die von Ihnen aufgeworfenen Fragestellungen mit strafrechtlicher Bezugnahme“.
Unseren Erkenntnissen zufolge hat es auch Unstimmigkeiten gegeben, was die Sozialversicherungen anging – etwa bei der Anmeldung von Arbeitnehmern und bei der Beitragszahlung. Die unserer Recherche zufolge betroffene Barmer hatte uns aus Gründen des Datenschutzes keine Auskunft erteilen wollen, ebenso jetzt auch die Handelskrankenkasse (HKK). Die AOK Rheinland/Hamburg gibt uns zumindest eine Information: Im Frühjahr 2022 habe sie als Gläubigerin einer von P.s Firmen einen Insolvenzantrag gestellt – mit Erfolg. Seit Oktober vergangenen Jahres läuft das Insolvenzverfahren. Heißt: P. schuldet der AOK Geld. Und ist mit einer Firma pleite.
Mitarbeiter ohne Sozialversicherungsnummer
Wie hoch P.s Außenstände bei der AOK sind, verrät die Krankenkasse nicht. Auch das zuständige Amtsgericht Köln hat uns dazu nichts mitgeteilt. Fakt ist allerdings: Wenn ein Gläubiger für ein Unternehmen einen Insolvenzantrag stellt, wird automatisch die Staatsanwaltschaft darüber informiert. Möglicherweise liegt in einem solchen Fall eine strafbare Insolvenzverschleppung vor: Stellt ein Geschäftsführer nicht spätestens drei Wochen nach dem Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag, kann er mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Ob ermittelt wird, konnte uns die Pressestelle der Staatsanwaltschaft Köln noch nicht mitteilen. Man wolle sich aber zeitnah melden.
Zwölf ehemalige P.-Mitarbeiter arbeiten inzwischen für die Volkswagen-Tochter Autovision, sechs weitere sollen der Pressestelle des Unternehmens zufolge noch folgen. Bei der Einstellung hat es in einigen Fällen allerdings Probleme gegeben: „Bei vier (…) zu übernehmenden Mitarbeitenden lagen bei Einstellung (…) noch keine gültigen Sozialversicherungsnummern vor.“ Das bedeutet: P. beziehungsweise seine Mitarbeiter hatten die Arbeitnehmer noch nicht bei der Sozialversicherung angemeldet – was potenziell eine Ordnungswidrigkeit sein könnte. Werden außerdem verbotenerweise Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt, ist das eine Straftat. Doch auch hier ist unklar, ob ermittelt wird.
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